"usque in Konigesberge" - diese Worte finden wir in einer Urkunde, die die Schenkung des Dorfes Nahausen durch den Pommemherzog Barnim l. an den Templerorden im Jahre 1244 bezeugt. Sie bedeuten, daß Nahausen "bis nach Königsberg" reiche. Diese Urkunde ist der erste bekannte Nachweis des Namens der Stadt Königsberg. Seine Herkunft ist umstritten. Eine Version: Der Ort sei zu Ehren des Königs Ottokar II. von Böhmen so benannt worden. Dies kann nicht stimmen; denn Ottokar regierte erst von 1253 bis 1278. Eine zweite Erklärung: Herleitung aus dem slawischen Wort Chwojna = Kiefer, Fichte; daraus Konitz - Kenitz - Kinz - Chinz, und schließlich sei bei den deutschen Siedlern aus Konitz das ähnlich klingende Koniges(berg) geworden. Und noch eine dritte Vermutung: aus Kinz habe sich Kinsperg oder auch Künseberre ergeben. In letzten Forschungsberichten wird allerdings entschieden bestritten, daß der Name Königsberg aufgrund sehr zweifelhafter Lautgesetze aus slawischen Namen herzuleiten sei.
Um das Jahr 1000 sei an dieser Stelle von den Polen eine Burg erbaut worden, als Ausgangspunkt für Unternehmungen gegen die ebenfalls slawischen Pommern, nachdem die Burg Cideni (Zehden) für Vorstöße gegen die inzwischen zu stark gewordenen Deutschen an der Oder keinen Nutzen mehr versprach. Die Kämpfe zwischen Polen und Pommern wogten über lange Zeit hin und her. Nach dem Tode des Polenherzogs Boleslaw III. (1038) gewannen die Pommern unter Bogislaw l. die Oberhand und unterwarfen das Land bis zur Warthe. Die Burg Kenitz - Vorläufer unseres Königsberg - im Lande Chinz soll zeitweise Residenz Bogislaw l. gewesen sein. Hier sei er 1187 auch gestorben und in der Kapelle der Burg bestattet - wie die "Chronica de ducatu Stettinensi" berichtet.
Und wie sah man das Land zu dieser Zeit? "Ein unwegsamer, mit Gebüsch bewachsener Sumpf deckte .... den Ort" und "mehrentheils zwischen Brüchen und Bergen, oder einem bergichten Gefilde". Anzumerken ist hier, daß dieses Land - und weiter bis zur Weichsel - bis in die Zeit der Völkerwanderung, also bis ins 4. - 7. Jahrhundert, über mehr als tausend Jahre von germanischen Stämmen bevölkert war. Im Gebiet unserer Neumark waren es die ursprünglich aus Bornholm und Südschweden stammenden Burgunder, südlich und östlich - im späteren Schlesien und bis zur Weichsel - die aus Nordjütland gekommenen Wandalen, nördlich - an der Ostseeküste - die aus Südnorwegen hierher gezogenen Rugier und schließlich westlich der Oder - in der späteren Mark um Berlin herum - die Semnonen aus den Stämmen der Sweben. Dann rückten jedoch slawische Stämme in das teilweise entvölkerte Gebiet vor und mischten sich mit den zurückgebliebenen Teilen der germanischen Stämme, bis im Verlaufe der Christianisierung seit Karl dem Großen (766 - 814) eine Rückbesiedlung einsetzte. Dies geschah keineswegs nur "mit Feuer und Schwert". Zu mancher Zeit lagen eher die slawischen Stämme - die Pommem und Polen - miteinander in Fehde, als Deutsche mit ihnen. Auch nach Kenitz wurden damals deutsche Siedler gerufen, um die Position der Festung zu stärken. Streitigkeiten zwischen den Markgrafen von Brandenburg - Johann l und Otto III - einerseits und den pommerschen Herzogen Barnim l. und Wartislaw III. endeten mit dem Ergebnis, daß die Uckermark und ein Teil der Neumark zu Brandenburg kamen. Nun wurden Mauern und Wälle "auf einer Anhöhe im Rörike-Tal" errichtet.
Mit einer Urkunde vom 29.11.1267 wurde der Übergang der "civitas Koningesberge" aus bischöflich-brandenburgischem Besitz an die seit 1250 hier herrschenden Markgrafen aus dem Hause der Askanier besiegelt. Es folgte eine Zeit des Aufschwunges. Nach einer Neuvermessung der Stadtfläche wurde 1271 eine Ausdehnung bis nach Nahausen, Uchtdorf, Gellen. Jadickendorf, Groß- bzw. Kleinmantel und bis zur Rörike bestätigt. So blieb es denn auch bis 1945 Die Stadt stützte sich auf das Magdeburger Recht. Vom Markgrafen erhielt sie den Mantel- und den Wustrowsee, den Gellner und den Wubiser See (1317). Schon 1292 hatte sie die Mühlen an den Stadtgräben erworben und erhielt 1298 das Recht, auch außerhalb der Stadt Mühlen zu erbauen. Vom Zerbstfließ wurde die Mühle am Schwedter Tor angetrieben, die Vierradenmühle - auch Galch- oder Walkmühle - von der Rörike.
Daß diese Vierradenmühle ihren Namen nicht vom benachbarten Ort Vierraden hatte, sondern von ihren vier Wasserrädern, werden nicht alle Königsberger wissen. Die damals herrschenden Markgrafen Otto IV. und Conrad erteilten der Stadt zugleich ein Privileg, "daß niemand über die Rörike Brücken noch Mühlen bauen und also die Schiffahrth und den Handel stöhren solle" -außer den Königsbergem selbst (1292). Damit verbunden waren der Wegfall des Transitzolls nach Stettin, aber auch die Übertragung des Marktzolls an die Stadt. Im Jahre 1310 wird auch eine Vergrößerung der Stadt durch die "nova civitas" bezeugt: zwischen der noch 1312 erwähnten - 1687 jedoch abgebrochenen - Nicolaikirche am Vierradentor und dem alten Kietz (am späteren Wilhelmplatz), und schließlich durch Rathaus, Marktplatz und Marienkirche erweitert und von einer turmbewehrten Mauer umgeben. Als nach der Zeit der askanischen Markgrafen von Brandenburg die Pommern sich wieder eines Teiles der Neumark bemächtigten, schlossen sich 1324 Bärwalde und Königsberg dem neuen Kurfürsten Ludwig aus dem Hause Wittelsbach an, als dieser gegen Pommem zu Felde zog. Zum Dank erhielt die Stadt die Walkmühle von ihm zum Geschenk.
Das Gemeinwesen erstarkte zusehends: war schon um 1300 vom alljährlich wechselnden Rat, von Schöffen, einem Schulzen und der Gesamtheit der Bürgerschaft die Rede, so nannte Königsberg sich 1320 schon das Oberhaupt der neumärkischen Städte, wies 1344 einen Bürgermeister (proconsul) auf, sicherte sich die niedere und oberste Gerichtsbarkeit und drängte Zug um Zug die Gerechtsamen des Markgrafen zurück. Kürfürst Ludwig l. bekam 1348/9 jedoch den Unmut der Bürger zu spüren: offenbar im Zusammenhang mit dem Auftreten des "falschen Waldemar", der vorgab, selbst der seit 1319 für tot gehaltene und vom Volke sehr geschätzte Markgraf Waldemar zu sein, stürmten sie die Burg der markgräflichen Vögte auf dem Burgwall nahe der Reichenfelder Mühle und töteten fast die gesamte Besatzung. Der darob sehr erboste Kurfürst hielt es dennoch angesichts der noch recht geringen Anhängerschaft im Lande für klüger, den Bürgern mit Vergebung und Großzügigkeit entgegenzukommen: er schenkte der Stadt das Dorf Bernickow. Der verhaßte Landvogt blieb allerdings am Platze. Als im Jahre 1351 -wie in ganz Europa - auch in Königsberg die Pest wütete und man glaubte, die im Ort wohnenden Juden hätten Brunnen und Flüsse vergiftet, ließ der Landvogt kurzerhand sämtliche Juden verbrennen. Nicht nur 1351, sondern 1312, 1550. 1585, 1601, 1605, 1625. 1630, 1631, 1637, 1638 und 1678 waren schlimme Pestjahre. Allein 1550 starben daran 1900 Königsberger.
Als Kurfürst Ludwig der Römer vor einem Kreuzzug nach Litauen mit seinem Heer in Königsberg Quartier machte, gab er der Stadt als Entschädigung für diese Last die Dörfer Reichenfelde und Niederkränig.
Einen besonderen Platz in der Stadtgeschichte hat der Pfeilschuß eines Schuhmachergesellen in die Gurgel des Pommernherzogs Casimir, als dieser während einer Fehde mit Kurfürst Otto dem Finnen die Stadt belagerte. Man schrieb den 24. August 1372. Casimir erlag seiner schweren Verwundung. Ein Vers aus dem danach entstandenen Lied:
"Ein frier Schuhknecht was he genandt / He dede datt aller beste / He hadde ein armbrost, dat was gudt / Datt was so starck von schaetenn / Darmede wardt die hertich Casimir / Dorch synen halß geschatenn".
Nicht nur gegen die landesherrliche Macht, sondern auch gegen Ansprüche der Geistlichkeit setzte man sich zur Wehr. So führte ein Zwist zwischen einigen Ratsmitgliedern und dem Adeligen Hasso von Wedel einerseits und dem Comtur von Rörchen, Wilhelm von Holsten, andererseits zur Zerstörung der Comturei und zur Gefangennahme des Comturs der Johanniter, die seit 1334 in Nachfolge der seit 1235 hier waltenden Templer das kirchliche Regiment ausübten. Der Comtur wurde schwer mißhandelt, zeitweise auch im Billerbeckturm - dem Pulverturm - an der Stadtmauer gefangengesetzt, bis er fliehen und Papst Gregor in Avignon sein Leid klagen konnte. Die reiche Familie von Wedel soll jedoch mit dem Papst "im geheimen" ein gütliches Obereinkommen erzielt haben. Die Johanniter trauten dem Frieden aber keineswegs: sie verlegten die Comturei am 16. April 1382 von Rörchen nach Wildenbruch.
Im Jahre 1402 verkaufte Kurfürst Sigismund die ganze Neumark - Nuwemarke obir dir Odir - an den Deutschen Orden in Preußen unter dessen Hochmeister Konrad von Jungingen. War schon während der Regentschaft der Kurfürsten aus dem Hause der Luxemburger (1373 - 1402) das Selbstbewußtsein der Stadt ständig gewachsen - dies zeigte sich in der Bestätigung ihrer schon früher erworbenen Privilegien, in der Politik des Landes, in ihrer Kapitalkraft als Geldverleiherin und in der Bildung von Zünften -, so ließ sie auch in den unruhiger werdenden Zeiten während der Herrschaft des Ordens in der Wahrung von Recht und Ordnung nicht nach. Der Scharfrichter der Stadt hatte es auch mit zänkischen und plündernden Adeligen zu tun.
Glücklicherweise blieb die Stadt im Jahre 1433 von einer Erstürmung durch die Hussiten verschont, während diese ringsum Städte und Dörfer niederbrannten - offenbar aus Rache dafür, daß der Kurfürst Friedrich l von Brandenburg sie als Befehlshaber des katholischen kaiserlichen Heeres bekämpft hatte. Nach einer vernichtenden Niederlage in Böhmen hatte sich Friedrich nämlich in deutsche Lande zurückziehen müssen. Zur Erinnerung: "Hussiten" nannten sich die Anhänger des Prager Reformators Johann Hus, der 1415 als Ketzer gegen das Papsttum lebendig verbrannt worden war. Zeitweise machten die Hussiten allerdings auch gemeinsame Sache mit den katholischen Polen, wenn es gegen den Deutschen Orden ging. Wegen Streitigkeiten mit dem Orden geriet Königsberg sogar auch einmal in den Kirchenbann. Auf dem Konzil zu Basel (1435) erreichte die Stadt jedoch, daß der Kirchenbann nicht einfach pauschal über eine ganze Stadt verhangt werden durfte, sondern nur über einzelne Frevler. Der Deutsche Orden gab die Neumark 1455 für 100 000 Gulden wieder an Kurfürst Friedrich zurück, als er sich in schwieriger Lage sah. Rohe Sitten waren über das Land gekommen, Raubzüge Adeliger waren an der Tagesordnung. Über einen Ertappten hieß es:"... daß er in den Gütern desselben sämtlich Gut gefunden, so ezlichen Lüden von Frankfurt genommen war, und er Schuld an dem Raube mit Rath und That hatte".
Im übrigen war in Königsberg im 15. Jahrhundert ein reges städtisches Leben zu spüren: es entwickelte sich ein vornehmes Patriziertum unter den Bürgern, die Innungen der Tuchmacher und Gewandschneider, Schuhmacher, Schützen und Knochenhauer, der Schneider, Schmiede und Leineweber entstanden. In der "Saltzhalle" - später Schenke und Cophus genannt - oder außen davor auf den Brot- und Fleischbänken bot man die Waren an. Auf dem Marktplatz stand der hölzerne Roland (= Rügeland = Sinnbild der den Städten verliehenen Gerichtsbarkeit) mit dem Büttelstein und später dem Soldatengalgen. Handel und Wandel wurden auch durch den Schnittpunkt dreier, von den Oderübergängen bei Schwedt und Schiffmühle und von Küstrin heranführender Handelswege bestimmt. Mit dieser Prosperität ging eine rege Bautätigkeit einher. Als Zeugnisse dieser Zeit seien hier nur die Marienkirche und das Rathaus genannt. Seitdem die hohenzollernschen Kurfürsten an die Stelle der Ordens-Hochmeister getreten waren, geriet Königsberg mehr und mehr in das Getriebe der Politik. Neuerliche Auseinandersetzungen mit den Pommern führten zu inzwischen längst ungewohnten Belastungen. Sie endeten jedoch schließlich mit der Erbverbrüderung zwischen Bogislaw X. und Kurfürst Johann (1493).
Als Vorbote der Reformation wirkte schon seit 1515 einer der ersten Schüler Martin Luthers im Königsberger Augustinerkloster: der Mönch Tilemann Schnabel. Ab 1532 predigte in der Marienkirche Lucas Friedrich als erster "Lutheraner". Als Markgraf Johann von Küstrin, der bereits zum Luthertum übergetreten war, 1536 in Königsberg erschien, flohen alle Mönche unter Mitnahme der Kirchenschätze aus dem Augustinerkloster. Aber noch 1553 war es möglich, daß der lutherische Prediger Hammius von der versammelten Priesterschaft verdammt und seines Amtes enthoben wurde, weil er verkündete, Jesus sei unter Schmerzen geboren.
Streitigkeiten wegen einiger Ländereien führten 1589 zu einem regelrechten Bürgeraufstand, dem allerdings der Küstriner Festungskommandant ein unblutiges Ende bereiten konnte. Im 30jährigen Krieg erlitt Königsberg dann jedoch viel Drangsal und Not: abwechselnd wurde es von den kaiserlich-katholischen und von den Truppen des protestantischen Schwedenkönigs Gustav Adolph heimgesucht, geplündert, malträtiert. Die katholischen Wallensteiner benahmen sich so fürchterlich, daß der Geistliche 1627 nach ihrem Abzug in das Kirchenbuch schrieb : "Deo sit laus" - Gott sei Lob! Noch 1620 fühlte man sich im Schütze des Reformierten Gustav Adolph sicher, aber seine Soldaten standen den Kaiserlichen keineswegs nach in ihren Untaten: den Kroaten, Sachsen, Brandenburgern. Und zwischendurch wütete immer wieder die Pest in der Stadt. Als Kurfürst Friedrich Wilhelm (der Große Kurfürst) schließlich am 14. Juli 1641 in Stockholm einen Waffenstillstand erzielte, hatte Königsberg 90% seiner Bevölkerung verloren. Bis zum Westfälischen Frieden (1648) und noch einige Jahrzehnte danach blieb der Stadt nun größeres Ungemach erspart. Am 13. Juni 1672 ging die Bernickower Straße in Flammen auf -zur Verwunderung aller Einwohner bis auf ein Haus, das einer jüdischen Familie gehörte. Ein halbes Jahr später waren dann doch wieder die Schweden unter General Wrangel im Lande und quartierten sich für fünf lange Jahre noch einmal in der Stadt ein. Berichte darüber erzählen von geringen bis schlimmsten Bedrückungen.
Aus der Zeit des 30jährigen Krieges ist überliefert, daß ein Vorfahre der berühmten Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, die im deutschen Geistesleben des 19. Jahrhunderts als Gelehrte und Politiker einen überragenden Platz innehatten, Bürgermeister von Königsberg war: Johann Humpolt, geboren 1575, gestorben am 11. Februar 1638. Aus einer alten Chronik sei dies zitiert: "Sonst muß im Octob. des 1633ten Jahres die Gefahr wegen eines feindlichen Einfalls hier nicht gering gewesen seyn, weil die Raths-Glieder, außer Burger-M. Joh. Humpolten, ausgewichen, welchen die Regierung zu Cüstrin in einer Verordnung de A. 1633 d. 26. Octob. Stand zu halten also animirete: Er möchte nicht ausweichen und sein Amt verabsäumen, weils GOTTLob, noch keine Noth nicht hätte, und man dieser Krieges-Last mit GOTT bald abzukommen gedächte. Und wenn man auch eines Überfalls gewärtig seyn solle, so müsse er auf sein Amt trotzen und seine Station nicht verlassen, welches seine Collegen, die ihn desiriret, nicht verantworten würden: Er möchte GOTT den Ausgang in fester Hoffnung der Erhaltung befehlen". Dieser wackere Bürgermeister, dessen Vater bis 1592 aufgrund einer Dotation die Gebäude des ehemaligen Augustinerklosters in seinem Besitz hatte, war - wenn man die Generationenfolge betrachtet - der Ur-Ur-Urgroßvater der Humboldtbrüder, deren Großvater 1738 mit dem preußischen Adel belohnt wurde.
Im übrigen begann man in dieser Zeit aber mit dem Wiederaufbau der Stadt. In einer Chronik heißt es: "Die Stadt ist - Gott Lob! -nun so bebauet, daß, da sie noch vor 41 Jahren halb wüste gestanden, kaum über 50 unbebaute Stellen zu finden, und wegen der alten ausgemusterten Rauchnester und Buden würden unsere alten Königsberger, wenn sie aufstehen sollten, ihre vormahlige Wohnstatt schwerlich erkennen können". In neuerliche Not geriet die Stadt, als sie im Jahre 1710 bei ersten Anzeichen einer Pestilenz von der Außenwelt abgesperrt wurde. Den hungernden Bürgern kam schließlich König Friedrich l. mit einem Griff in die Staatskasse zu Hilfe. In den Folgejahren plagte mehrmals die "rothe Ruhre" die Bevölkerung - und auch die hier einquartierten schwedischen Soldaten - und forderte viele Opfer. Dennoch nahm die Zahl der Einwohner ständig zu: wohnten 1720 1683 Einwohner in der Stadt, so waren es 1735 schon 2450. Im Stadtbild gab es große Veränderungen. Während man 1704 mit der Pflasterung der Straßen begann - 1711 folgte der Marktplatz -, verfielen zugleich leider die Stadttore, die Wälle und die Stadtmauer teilweise. Die Gräben wurden mit den Wallen aufgefüllt und in Gärten verwandelt, die Vortore des Bemickower und des Vierradentores wurden zum Teil abgetragen und Steine des letzteren für den Ausbau der Stadtschenke im Rathaus verwandt. Gab es 1688 noch 250 verwüstete Grundstücke, so 1750 nur noch 39. Aber damit ging auch eine Straffung der Verwaltung einher. König Friedrich Wilhelm l. verfügte die Wahl eines Magistrates - an der Spitze ein Stadtphysikus. Zahlreiche starke militärische Einquartierungen strapazierten die Stadt jedoch so sehr, daß der Magistrat zwischen 1725 und 1735 das Dorf Altenkirchen, den Wustrowsee, den Krimo- und den Mantelsee verkaufen mußte.
Wahrend des siebenjährigen Krieges (1756-1762) hatte die Stadt mehrfach monatelange russische Besatzungen zu erdulden, blieb aber von Kampfhandlungen verschont - im Gegensatz zu den meisten anderen neumärkischen Städten. Auffallend ist es, daß die russischen Befehlshaber deutsche Namen trugen: von Tottleben, von Stoffeln. Sie brachten es fertig, ihre Soldaten - darunter auch Kosaken - zu Disziplin und zur Rücksichtnahme gegenüber der Stadtbevölkerung anzuhalten. Von 1759 bis 1760 waren die neumärkische Regierung und die Kriegs- und Domänenkammer in der Stadt, nachdem die Russen Küstrin eingeäschert hatten. Nach dem Kriege verkaufte man seinen Anteil am Dorfe Rohrbeck, und schon um 1800 war Königsberg schuldenfrei, hatte die Last der an die Russen gezahlten Kontributionen abgetragen. Ein neuer Aufschwung setzte ein: viele Grundstücke wurden bebaut - zumeist zweigeschossig. Auf dem Klosterfriedhof wurden zwei Kasernen gebaut - leider mit Ziegeln von den Schwedter und den Bemickower Toranlagen. Die Zahl der Einwohner betrug 1801 bereits 3249. Die 1766 entstandene Baumwollfabrik florierte. Die 1791 in die Kasernengebäude verlegte Stadtschule hatte Rang und Namen einer Gelehrtenschule und hieß nun Friedrich-Wilhelm-Lyceum.
Im preußisch-französischen Krieg (1806-1807) erschienen schon 23 Tage nach der für Preußen vernichtenden Niederlage bei Jena und Auerstedt am 7. November 1806 die ersten 5 französischen Soldaten in Königsberg; einen Monat später wurde daraus eine feste Einquartierung. Flüchtlinge zogen durch die Stadt gen Osten, dann folgten Durchmärsche und erneut Einquartierungen französischer Truppen. Über 205 000 Taler mußte die Stadt aufbringen und dazu schlimme Übergriffe der Franzosen ertragen. Ein Chronist: "Dulden mußten wir es, daß unablässig von den französischen Civil- und Militärbehörden die empörendsten Gewaltgriffe in die heiligsten Rechte des Souverains und in die ebenso heiligen des Privateigentums geschahen".
Die neumärkische Regierung mußte wieder einmal nach Königsberg ausweichen, da die Franzosen noch immer Küstrin besetzt hielten (1809). Das Lyceum bot Platz dafür. Am 17. Dezember des gleichen Jahres trat die neue Städteordnung in Kraft. Dadurch erhielt die Stadt nun nicht nur einen Bürgermeister, sondern auch einen Syndicus, Ratsherren und Stadtverordnete und zugleich auch eine mehr auf Selbständigkeit ausgerichtete Verfassung Am 22. Dezember stattete die Königsfamilie der Stadt unter Glockengeläut einen Besuch ab. Im Jahre 1811 wurde eine Schuldeputation aus Bürgern der Stadt eingeführt. Am 1. November 1812 bildete man eine Bürgergarde als Ersatz für die abwesenden Truppen.
Nach der katastrophalen Niederlage Napoleons im Dezember 1812 vor Moskau flohen die Reste der französischen Armee - 25 000 von 500 000 - nach Westen zurück, "in dem elendsten Zustande, als Jammerbilder des Schreckens und Entsetzens, und mit tiefster Demuth erfüllt". Ein Detachement mit 1500 Mann kam über Jädickendorf nach Königsberg und war zum Kampf gegen die russischen Verfolger bereit. Zum Glück für die Stadt zogen die Franzosen jedoch schon am nächsten Morgen ab und überließen den Kosaken den Platz kampflos. Im nun beginnenden Freiheitskriege (1813 - 1815) war die Stadt oft Hauptquartier der durchmarschierenden preußischen Truppen.
Im 19. Jahrhundert ging die Entwicklung der Stadt langsam, aber stetig voran. Landstraßen wurden verbessert und mit Bäumen besäumt. Seit 1827 gab es eine Straßenbeleuchtung und seit 1830 auch eine Wochenzeitung, der schon 1833 der "Märkische Stadt- und Landfreund" folgte - Vorläufer der "Königsberger Zeitung". Am 6. November 1845 wurde die Städtische Sparkasse eröffnet: am 31. Dezember wies sie Spareinlagen in Höhe von 1961 Thalern, 12 Silbergroschen und 9 Pfennigen auf; 1914 waren es 4 834,97 Mark, 1923 schwindelerregende 327 Billionen Mark - Inflation im Lande! -, am 1. Januar 1924 dann 185,79 Goldmark und schließlich am 30. September 1935 gab es 1 264 445 Reichsmark.
Aber immer wieder waren auch Heimsuchungen durch Epidemien durchzustehen: im Jahre 1847 raffte die Cholera 250 Einwohner dahin. - Ackerbau, Handel und Handwerk waren noch immer die hauptsächlichen Erwerbszweige. An das wachsende Eisenbahnnetz wurde Königsberg erst 1876/77 durch die Strecke Küstrin - Stettin angeschlossen, über Jädickendorf 1892 auch nach Berlin hin. Noch 1865 hatte eine Umgehung Königsbergs durch eine Strecke Küstrin-Soldin-Stargard-Stettin gedroht, wogegen die Stadt damals sogar eine Querverbindung Angermünde-Schwedt-Königsberg-Stargard setzen wollte. Die schon längst sehr eingeschränkte Schiffbarkeit der Rörike ab Nahausen bis zur Oder und über diese weiter nach Stettin hatte keine Bedeutung mehr. Regen Gebrauch machte man von der Einführung der Telegraphie: 1876 berichtete man von etwa 3000 Telegrammen jeweils in beiden Richtungen.
Seit 1845 kam der Straßenbau zügig weiter. Die Straßen nach Niederwutzen, nach Küstrin über Bärwalde und über Bad Schönfließ zur Soldiner Kreisgrenze wurden durch Anleihen finanziert. Dadurch verbesserten sich die Transportverbindungen ganz wesentlich, so daß es nun auch möglich wurde, Braunkohle billiger als einheimisches Heizmaterial - Torf und Brennholz -anzubieten. Aus dieser Zeit ist uns ein Bericht über die "Holzschlacht von 1849" überliefert: Zu Silvester versammelten sich 200 Königsberger mit Schlitten und zogen in die Forst des Vietnitzer Freiherrn von Oelsen, um sich mit Brennholz zu versorgen. Auf dem Heimweg zur Stadt kam es zu einer regelrechten Schlacht, als die Holzräuber von Vietnitzer und Jädickendorfer Landleuten und von Gutsarbeitern verfolgt wurden. Daraufhin wurden 14 Königsberger zu insgesamt 35 Jahren Zuchthaus verurteilt. Als ein Militärkommando danach weiteren Holzdiebstahl unterbinden wollte, indem es an den Stadttoren alle Holzschlitten untersuchte, führte dies zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den aufgebrachten Bürgern und den Soldaten, die drei Todesopfer forderte und schließlich nur mit aufgepflanzten Bajonetten beendet werden konnte. Dieses Ereignis fiel in die Regierungszeit des Königs Friedrich Wilhelm IV. - in eine Zeit der Wirren und des erwachenden Bürgersinnes -, ein Jahr nach Inkrafttreten einer neuen preußischen Verfassung, zwei Jahre nach dem Barrikadenkampf in Berlin - hier nun eine Revolution auf kleinstädtisch? Oder vielleicht doch nur ein Steinchen aus dem bunten Mosaik aus Diebstahl, Raub, Mord, Brandstiftung und anderen schlimmen Vergehen, die der Stadt damals über mehrere Jahrzehnte hinweg eine traurige "Berühmtheit" eintrugen?
Solche Erscheinungen dieser Zeit dürfen jedoch nicht den Blick darauf verstellen, daß sich zugleich ein reiches geistiges, kulturelles und bürgerliches Leben regte. Ein Beispiel sei das seit 1817 in einer der ehemaligen Kasernen am Wilhelmplatz bestehende Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, dem 1863 nicht weniger als 287 Schüler angehörten. Es hatte seine Vorläufer in der schon 1333 neben der Marienkirche eingerichteten "großen Schule" und in der Gelehrtenschule des 18. Jahrhunderts, die König Friedrich Wilhelm l. 1791 zum Friedrich-Wilhelm-Lyceum erhoben hatte.
Das neue Gymnasium hatte schon von Anbeginn an - also seit 1817! - Turnunterricht im Lehrplan. Zusammen mit der neu gegründeten Aufbauschule zog das Gymnasium im Jahre 1926 schließlich in das seit 1880 am Ende der verlängerten Lazarettstraße bestehende Gebäude des Lehrerseminars ein, das seine Tätigkeit damit einstellte.
Die Einwohnerzahl der Stadt stieg bis 1871 auf 5 336 an. bis 1911 weiter auf 6 123. Außerhalb der Stadtmauer erfolgte eine Bebauung hauptsächlich erst um die folgende Jahrhundertwende. Um das Gesundheitswesen war es fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts schlecht bestellt: Von den fünf oder sechs Hospitälern des Mittelalters waren nur wenige verblieben; sie dienten der Versorgung alter Menschen. Kranke waren zu Hause zu pflegen oder blieben - sofern von der Pest befallen - in den Mauertürmen oder in Baracken vor der Stadt sich selbst überlassen. Nur für das Militär gab es ein Lazarett, zunächst am Wilhelmplatz im ehemaligen Kloster und dann seit 1824 in einem Neubau am Ende der alten Judengasse, der späteren Lazarettstraße. Dieses Lazarett erwarb 1884 nach dem Abzug der Soldaten der damalige Landrat von Gerlach, um es dann zusammen mit dem von ihm gegründeten Johanniter-Kreisverein Königsberg/Neumark als Krankenhaus auszubauen und zu betreiben. Als "Johanniter-Krankenhaus" erfreute es sich bis 1945 eines guten Rufes, ebenso wie sein seit 1909 darin tätiger Chefarzt Dr. Lonicer.
Von den Härten und Folgen des 1. Weltkrieges wurde Königsberg gleichermaßen betroffen wie das ganze Land. Der erste Kreiskalender von 1926 gedachte zu Beginn der 3 684 Toten aus dem ganzen Kreisgebiet. - In der Inflationszeit nahm das Johanniter-Krankenhaus lieber 150 Zentner Roggen in natura als eine Geldzuwendung, die ja schon bei der Übergabe keinen Wert mehr gehabt hätte!
Königsberg war zwischen den beiden Weltkriegen eine "behagliche kleine Stadt". Ein reges Vereinsleben führte die Bürger zusammen: Sie trafen sich bei ihren Jahres- oder auch Quartalsfesten, machten Wanderungen zu den altbekannten Ausflugszielen in der schönen Umgebung der Stadt - zur Waldschänke neben den Pimpinellenbergen, zum Veilchenthal oder etwas weiter ins 'Tal der Liebe" in Odernähe. In der Stadt selbst traf man sich im evangelischen Vereinshaus oder in den anderen beliebten Gaststätten - vielleicht im Kirschgarten neben der Radrennbahn -. Die großen Feste der Saison wurden aber in dem in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts erbauten neuen Saal des Schützenhauses gefeiert - wie viele Jahrgänge junger Königsberger haben doch in diesem Saal auch ihre ersten Tanzschritte von der Stettinerin Betty Bartels erlernt und die "Tanzstunde" mit dem großen Abschlußball beendet!
Eine sportliche Besonderheit hat Königsberg weit und breit bekannt gemacht: das Segelfliegen vom Berg Montecuculi. Hier fanden nicht nur Wettkämpfe erfahrener Flugbegeisterter statt - hier übten sich Schüler und Jugendliche im Flugmodellbau und dann auch im Bau richtiger Übungsflugzeuge, mit denen sie ihre ersten Hüpfer lernten, bevor sie danach "Flug um Flug" die blauen Abzeichen mit einer, zwei oder drei weißen Schwingen "ersegelten".
Das vor dem Bernickower Tor gelegene Landratsamt erhielt aus den Altgebäuden und den dazuerworbenen Häusern seine endgültige Form. Aus der Höheren Lehranstalt für praktische Landwirte wurde 1926 an der Oberen Rennbahn die Landwirtschaftliche Haushaltungsschule Königsberg/Nm., und seit 1928 gab es zwischen der Stadt und dem Bahnhof eine neue, große Volksschule, daneben ein Turnhallengebäude, in dem auch die Jugendherberge Platz gefunden hatte. Ebenfalls aus den 20er Jahren stammt das Schwimmbad oberhalb des Krähenbruches; alle Schüler der folgenden Jahre knüpfen daran unterschiedliche Erinnerungen, je nach ihrem Verhältnis zum Wasser und zum Schulschwimmen. Auch der Sportplatz in den Paaschebergen mag ähnliche Reflexionen hervorrufen. Aber: alles war schön und voller Lebendigkeit. Eine große Veränderung bedeutete schließlich vor dem 2. Weltkrieg noch der Bau des Fliegerhorstes der Luftwaffe an der Manteler Chaussee: Königsberg war wieder Garnison geworden. Alle diese Baumaßnahmen unseres Jahrhunderts berührten jedoch nicht das Bild der Altstadt. Ihre Straßen und Gassen stammten aus frühester Zeit, und innerhalb der im 13. und 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts entstandenen Stadtmauer hatten die Zeugnisse mittelalterlicher Baukunst ihren festen Platz: das Schwedter und das Bernickower Tor, das Augustinerkloster, das Rathaus und das hoch aufragende Wahrzeichen der Stadt: die Marienkirche. Zusammen mit den Bürgerhäusern der friedlich daliegenden, in sich ruhenden Altstadt ergab sich für Besucher ein Eindruck, der Königsberg den Beinamen "das märkische Rothenburg" eintrug.
Das Schwedter Tor mit seinen runden Ecktürmchen und das einfacher gestaltete Bernickower Tor stellen besondere Kostbarkeiten unter den mittelalterlichen Wehrbauten dar. Ein drittes Tor - das Vierradentor - wurde später wieder beseitigt und lieferte Baumaterial für andere Gebäude. Die Stadtmauer wies zeitweise bis zu 53 "Weichhäuser" und Türme auf, war jedoch ohne einen in westlichen deutschen Städten üblichen Wehrgang errichtet worden.
Das am Rande des alten Kietz gelegene Kloster der Augustiner-Eremiten fand 1290 zum erstenmal Erwähnung. Die in ihrer äußeren und inneren Form eindrucksvolle Klosterkirche wurde im 14. Jahrhundert im Stile der Gotik dieser Zeit erbaut und 1388 geweiht. Nach der Reformation diente sie - wie auch das ganze Kloster - unterschiedlichen Zwecken: zunächst fanden hier evangelische Gottesdienste statt, dann waren eine Lateinschule, ein Hospital, ein Lazarett, Wohnungen evangelischer Pfarrer, sogar zeitweise eine Tuchfabrik, Konfirmandenräume und in der Kirche schließlich übereinander die städtische Feuerwehr und eine Turnhalle untergebracht. Der ostseitige Klosterflügel wurde leider im vergangenen Jahrhundert abgebrochen.
Die verbliebenen Gebäude haben Krieg und Besetzung und auch die Einäscherung der Altstadt fast unversehrt überstanden und dienen nunmehr der katholischen Kirchengemeinde als Gotteshaus, Gemeindezentrum und Gästehaus.
Der Bau des Königsberger Rathauses wird dem Stettiner Baumeister Hinrich Brunsberg zugeschrieben, der auch das großartige Bauwerk der Marienkirche in unmittelbarer Nachbarschaft geschaffen hat. Gestaltungselemente und verwendetes Ziegel- und Keramik-Material verraten die gleiche Urheberschaft. Als Bauzeit sind die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts anzusetzen - die hohe Zeit des spätgotischen, norddeutschen Backsteinbaues. Das Gebäude erlitt 1945 nach dem Ende der Kampfhandlungen durch Brandschatzung das gleiche Schicksal wie die gesamte Altstadt, ist jedoch in vieljähriger Bauzeit bis 1986 in achtbarer Weise wiederaufgebaut worden. Es dient der Stadt nun als Kulturhaus.
Ein Jahr nach Fertigstellung der Klosterkirche ließ der Johanniterorden, der seit 1351 in Nachfolge der Templer das Patronatsrecht in Königsberg innehatte, Hinrich Brunsberg 1389 mit dem Bau einer neuen, großen Pfarrkirche beginnen - anstelle einer aus dem 12. Jahrhundert stammenden, anfangs schon erwähnten kreuzförmigen Granitkirche Bogislaw l., in der dieser seine letzte Ruhe gefunden hatte. Am 9. Oktober 1407 wurde der Ostteil der Marienkirche geweiht. Danach trug man den noch verbliebenen Teil der Granitkapelle ab, deren Quader bei der Verlängerung des Neubaues - wie auch heute noch sichtbar - mit verbaut wurden. Im Jahre 1459 war das Werk vollendet. Auch der Grundbaukörper des Turmes entstand damals, allerdings zunächst ohne Helm, ehe man ihn im Laufe der Jahrhunderte in unterschiedlicher Form damit krönte, nachdem Blitzeinschläge oder Einstürze mehrfach dazu Anlaß gaben. Die älteren Bewohnern der Stadt noch vertraute, von 1884 stammende Helmspitze aus Ziegelmauerwerk erhielt in den 30er Jahren unseres Jahrhunderts eine Kupferverkleidung, mit der den Königsbergem der über 100 Meter hohe Turm in Erinnerung geblieben ist. Die Marienkirche galt bis zu ihrer Zerstörung im Zuge der Vernichtung der Altstadt als ein Zeugnis hervorragender spatgotischer Backsteinarchitektur Norddeutschlands, sowohl hinsichtlich der Brunsberg eigenen Art der Baukörpergliederung und ihrer äußeren, omamentalen Gestaltung, als auch in bezug auf die räumliche Komposition der Hallenkirche im Innern mit Hilfe der nach innen verlagerten Strebepfeiler, die die Herumführung einer Galerie um das ganze Kirchenschiff und darunter einen vielteiligen Kapellenkranz ermöglichten.
Auch die Marienkirche wurde ein Opfer der Feuersbrunst: am 16. Februar 1945 - 12 Tage nach der Besetzung der Stadt durch die Rote Armee. Nach früheren Versuchen, das Bauwerk als Kultur- und Baudenkmal von europäischem Rang zu sichern oder gar wiederaufzubauen, sind seit 1987 gemeinsame deutsch-polnische Bemühungen in Gang gekommen, die Kirche in ihrer ursprünglichen Form wiedererstehen zu lassen. Der Anfang ist gemacht: In den letzten Jahren war die Ruine der Marienkirche Stätte mehrerer großer deutsch-polnischer ökumenischer Gottesdienste, und aus gemeinsamer Arbeit in ihr ist inzwischen auch eine lebendige deutsch-polnische Jugendakademie entstanden. Der Wiederaufbau der Marienkirche soll der Schaffung einer deutsch-polnischen und auch ökumenischen Begegnungsstätte dienen und einen Ort zur gemeinsamen Pflege der Kultur beider Völker und Europas anbieten.
Das Ende des 2. Weltkrieges hat mehr als sechseinhalbtausend Königsbergern ihr Zuhause genommen. Polnische Menschen, denen ein ähnliches Schicksal widerfahren ist, haben sich in den zertrümmerten Resten der Stadt eine neue Heimstatt suchen müssen. Dreiviertel der Altstadt innerhalb der Stadtmauer und große Teile der Bebauung vor den Toren waren zerstört. Noch im Jahre 1951 bot sich die Innenstadt "wie ein großer Park" dar: auf den Trümmern der Häuser wuchsen Bäume und Strauchwerk, und der Blick schweifte darüber ungehindert hinweg vom Bernickower zum Schwedter Tor. Für die ersten nach dem Kriege als Besucher wiederkehrenden Königsberger war der Anblick ihrer Stadt schrecklich und unfaßbar. Sah man den wenigen verbliebenen Häusem und den Trümmern an, welches Grauen und welche Verzweiflung über die zweitausend, damals in der Stadt gebliebenen oder aus den Wäldern zurückgekehrten Menschen gekommen war mit der Besetzung ihrer Stadt und der dann folgenden Vertreibung aus ihrer Heimat? Augenzeugenberichte nennen Hunderte von Todesopfern unter Nachbarn, Freunden und anderen Mitbürgern und schrecklichste Erlebnisse.
So bruchstückhaft ein solcher kurzer Abriß der Stadtgeschichte auch nur darüber Auskunft geben kann, wie weit und wie tief die Wurzeln der bisherigen Bewohner dieser Stadt hinabreichen in die Geschichte dieses Landes, so wenig dürfen diese Geschichte und das Geschehen der schlimmen Zeit, die sie durchstehen mußten - oder nicht überstanden haben - in Vergessenheit geraten oder gar verdrängt werden.